[Artikel] Disruption durch KI: Warum Selbstorganisation der Schlüssel für NPOs ist


Disruption durch KI: Warum Selbstorganisation der Schlüssel für NPOs ist

Ein Problemaufriss von Peter Zängl und Gertrud P. Tuvok

 

Der Hype um künstliche Intelligenz (AI) hat die Welt im Sturm erobert und macht auch vor Non-Profit-Organisationen (NPOs) nicht halt. Die Faszination für die neuen Möglichkeiten, die AI bietet, steht dabei im Vordergrund: Routineaufgaben können effizienter erledigt und auch konzeptionelle Arbeiten unterstützt werden. Doch während der Fokus auf den unmittelbaren Nutzen liegt, werden die tiefgreifenden organisationalen Implikationen oft vernachlässigt.

Faszination und Nutzen von AI in NPOs

AI verspricht, den Arbeitsalltag in NPOs erheblich zu erleichtern. Routineaufgaben wie die Verwaltung von Daten, Die Buchhaltung und das Controlling, die Automatisierung von Spendenprozessen oder das Management von Freiwilligen können durch AI-Tools schneller und präziser erledigt werden. Darüber hinaus eröffnen AI-gestützte Analysen und Prognosen neue Horizonte in der strategischen Planung und im Fundraising. Diese Effizienzsteigerungen sind verlockend und tragen dazu bei, dass AI in NPOs zunehmend Einzug hält.

Was wäre beispielsweise in der Praxis sozialer Dienstleistungsorganisationen möglich? Dazu einige praktische Beispiele:

Verwaltung von Daten und Mitgliedsinformationen:

Greenpeace verwendet AI-gestützte Datenbanken, um Spenderdaten zu verwalten. Mithilfe von AI-Tools wie denen von DonorSearch können doppelte Datensätze erkannt und bereinigt sowie Spenderpräferenzen analysiert werden, um personalisierte Kommunikationsstrategien zu entwickeln. Diese AI-Tools helfen, die Effizienz der Datenverwaltung zu steigern und fundierte Entscheidungen zu treffen.

(https://www.donorsearch.net/resources/ai-for-nonprofits/)

Automatisierung von Spendenprozessen:

National Eating Disorders Association (NEDA) nutzt AI-basierte Chatbots auf ihrer Website, um potenzielle Spender zu unterstützen und Fragen in Echtzeit zu beantworten. Diese Chatbots führen Spender*innen durch den Online-Spendenprozess und senden personalisierte Dankesnachrichten, was zu einer höheren Spendenbereitschaft führt.

(https://ssir.org/articles/entry/8_steps_nonprofits_can_take_to_adopt_ai_responsibly)

Strategische Planung und Fundraising:

Parkinson’s UK verwendet AI-gestützte Analyse-Tools, um Spendentrends zu prognostizieren und zielgerichtete Fundraising-Kampagnen zu entwickeln. Durch die Analyse historischer Spendenmuster kann Parkinson’s UK gezielt auf bestimmte Spendergruppen eingehen und ihre Kampagnen entsprechend anpassen, was zu einer Steigerung der Spendeneinnahmen führt.

(https://dataro.io/2024/02/16/artificial-intelligence-for-nonprofits/)

Management von Freiwilligen:

ASPCA (American Society for the Prevention of Cruelty to Animals) verwendet als Tierschutzorganisation ein AI-gestütztes System zur Verwaltung ihrer Freiwilligen. Das System kann Verfügbarkeiten und Präferenzen der Freiwilligen automatisch abgleichen und Einsatzpläne optimieren, was zu einer effizienteren Nutzung der Freiwilligenressourcen und einer höheren Zufriedenheit unter den Helfern führt.

(https://www.aspcapro.org/training/webinar/volunteer-management-101-0)

Optimierung von Geschäftsprozessen:

Die Bildungs-NPO Room to Read setzt AI-Tools ein, um ihre internen Prozesse zu automatisieren und zu optimieren. Routineaufgaben wie die Rechnungsstellung oder das Controlling werden durch AI-Systeme schneller und fehlerfrei erledigt, was Zeit und Ressourcen spart, die für die Kernaktivitäten der Organisation verwendet werden können.

(https://boomi.com/blog/human-optimized-processes-ai/)

Schulung und Weiterentwicklung der Mitarbeiter*innen:

Das Rote Kreuz bietet seinen Mitarbeitern AI-gestützte Lernplattformen an, um kontinuierliche Schulungen zu ermöglichen. Diese Plattformen erstellen personalisierte Lernpläne und überwachen den Fortschritt der Mitarbeiter*innen, um sicherzustellen, dass alle notwendigen Kompetenzen für die Nutzung neuer Technologien vorhanden sind.

(https://drk-wohlfahrt.de/unsere-themen/soziale-innovation-digitalisierung/kompetenzzentren-digitalisierung/digitale-lernplattformen.html)

Ethische Richtlinien und Prozesse:

NetHope bietet ein umfassendes Toolkit für Nonprofits zur Entwicklung und Implementierung ethischer Richtlinien für den Einsatz von AI. Diese Richtlinien beinhalten Aspekte wie Datenprivatsphäre, algorithmische Fairness und Transparenz, um sicherzustellen, dass AI-Technologien verantwortungsvoll und ethisch eingesetzt werden.

(https://nethope.org/toolkits/artificial-intelligence-ai-ethics-for-nonprofits-toolkit/)

Vernachlässigte organisationale Implikationen

Trotz dieser offensichtlichen Vorteile von AI bleibt die Frage, wie diese Technologien die Wesenselemente einer Organisation beeinflussen, oft unbeantwortet. NPOs stehen vor der Herausforderung, die Integration von AI nicht nur als technologische, sondern auch als organisationale Transformation zu betrachten. AI verändert nicht nur, wie Aufgaben erledigt werden, sondern auch, wie Entscheidungen getroffen, wie Strukturen gestaltet und wie Kultur und Klima innerhalb der Organisation geformt werden, wie die folgende Auflistung basierende auf den sieben Wesenselementen einer Organisation nach dem Trigon Modell zeigt:

1.     Identität: Die Einführung von AI kann die Identität einer NPO verändern. Neue Technologien bringen neue Werte und Normen mit sich, die in das Selbstverständnis der Organisation integriert werden müssen.

  1. Politik, Strategie, Konzepte: AI kann strategische Planungen und Konzepte revolutionieren. Strategien müssen angepasst werden, um den vollen Nutzen von AI-Technologien zu realisieren.
  2. Struktur: Organisationsstrukturen müssen flexibel genug sein, um AI-gestützte Prozesse zu integrieren. Hierarchien könnten flacher werden, und die Entscheidungsfindung könnte dezentraler organisiert werden.
  3. Menschen, Gruppen, Klima: Die Einführung von AI erfordert eine Kultur des Lernens und der Anpassung. Mitarbeiter*innen müssen geschult und motiviert werden, um die neuen Technologien zu nutzen.
  4. Einzelfunktionen, Organe: Spezifische Funktionen innerhalb der Organisation könnten durch AI ersetzt oder transformiert werden, was zu einer Neudefinition von Rollen und Verantwortlichkeiten führt.
  5. Abläufe, Prozesse: AI ermöglicht die Automatisierung und Optimierung von Prozessen. Dies erfordern eine kontinuierliche Anpassung und Verbesserung der Abläufe.
  6. Mittel, Ausstattung: Die Implementierung und Wartung von AI-Systemen erfordern Investitionen in Infrastruktur und Technologie.

Gibt es ein geeignetes Organisationsmodell für die AI-Transformation?

Angesichts dieser umfassenden Veränderungen scheint ein traditionelles hierarchisches Organisationsmodell unzureichend gerüstet zu sein, um den Herausforderungen gerecht zu werden. Modelle der Selbstorganisation bieten hier vielversprechende Ansätze. Soziokratie, Holacracy und evolutionäre Organisationen zeichnen sich durch ihre Flexibilität, Anpassungsfähigkeit und ihre dezentralen Entscheidungsstrukturen aus.

Auch hierzu einige praktische Beispiele:

Implementierung von Soziokratie in einer Umweltorganisation:

Eine große Umweltorganisation entschied sich für das soziokratische Modell, um ihre internen Strukturen zu flexibilisieren und die Einführung von AI-Tools zu unterstützen. Teams wurden in Kreisen organisiert, die eigenständig über den Einsatz von AI-Tools zur Analyse von Umweltdaten entscheiden konnten.

(https://forums.sociocracyforall.org/t/using-sociocracy-to-integrate-environmental-social-and-economic-goals-for-a-blue-green-prosperity/3935)

Einführung von Holacracy in einer Gesundheits-NGO:

CompassPoint hat als gemeinnützige Organisation Holacracy implementiert, um ihre Entscheidungsprozesse zu dezentralisieren und die Transparenz sowie Verantwortlichkeit zu erhöhen. Durch die Einführung von Holacracy wurden Rollen dynamischer gestaltet und Mitarbeiter*innen konnten mehrere Rollen übernehmen, was zu einer flexibleren und anpassungsfähigeren Organisation führte.

(https://www.compasspoint.org/blog/why-we%E2%80%99re-taking-holacracy-and-changing-way-we-work)

Evolutionäre Organisation in einer Bildungs-NPO:

The AI Education Project (aiEDU) fördert AI-Bildung durch Partnerschaften mit Schulen, Universitäten und gemeinnützigen Organisationen. aiEDU bietet Lernressourcen und Workshops an, die Lehrenden und Schüler*innen helfen, AI zu verstehen und anzuwenden. Sie setzen auf flexible, evolutionäre Strukturen, um kontinuierlich innovative Bildungsprojekte zu entwickeln und anzupassen.

(https://www.9news.com/article/news/local/nonprofit-steering-committee-ai-classrooms/73-431cd7a2-f5f9-4d34-8925-cc42d1df32f8)

Agile Methoden in einer Wohltätigkeitsorganisation:

Salesforce AI for Impact Accelerator: Diese Initiative unterstützt Nonprofits bei der Skalierung ihrer Wirkung durch die Nutzung von AI und agilen Methoden. Organisationen erhalten Zugang zu Technologie, Finanzierung und Fachwissen, um AI-Projekte effizient zu managen. Ein Beispielprojekt ist die Nutzung von AI, um personalisierte Lernumgebungen für Schüler*innen zu schaffen, was durch agile Methoden wie Scrum und Kanban ermöglicht.

(https://www.salesforce.com/blog/ai-in-education/)

Förderung einer Innovationskultur in einer Kultur-NPO:

Die Mozilla Foundation fördert eine Innovationskultur durch die Einführung von Hackathons und Innovationswochen. Mitarbeiter haben die Freiheit, AI-basierte Projekte zu entwickeln, wie etwa die Nutzung von AI zur Überwachung von Methanemissionen und die Erkennung illegaler Bergbauaktivitäten. Diese Initiativen zielen darauf ab, Umweltgerechtigkeit zu fördern und AI zur Unterstützung von Nachhaltigkeitszielen zu nutzen.

(https://foundation.mozilla.org/en/blog/open-source-AI-for-environmental-justice/)

Selbstorganisierte Modelle ermöglichen eine schnelle Anpassung an Veränderungen und neue Technologien, was bei der Implementierung von AI-Tools entscheidend ist. Die Autonomie der Teams fördert schnelle und informierte Entscheidungen über den Einsatz und die Anpassung von AI-Tools. Diese Strukturen fördern eine Kultur der kontinuierlichen Verbesserung und Innovation, was die Entwicklung und Integration von AI-gestützten Lösungen unterstützt. Durch die Einbeziehung aller Mitarbeiter*innen in Entscheidungsprozesse wird die Akzeptanz und das Engagement für AI-Initiativen erhöht. Klare Kommunikationsstrukturen und transparente Entscheidungsprozesse in selbstorganisierten Modellen unterstützen das Verständnis und die Akzeptanz neuer Technologien. Flexible Rollen und Verantwortlichkeiten ermöglichen eine effiziente Nutzung und Anpassung von AI-Tools, um spezifische Geschäftsanforderungen zu erfüllen. Selbstorganisationsmodelle schaffen somit eine förderliche Umgebung für die Einführung und Nutzung von AI-Tools, indem sie Flexibilität, Beteiligung und eine starke Innovationskultur fördern. Dies macht sie besonders geeignet, um den tiefgreifenden Veränderungen, die durch AI-Technologien in NPOs ausgelöst werden, erfolgreich zu begegnen.

Selbstorganisationsmodelle könnten demnach eine förderliche Umgebung für die Einführung und Nutzung von AI-Tools schaffen, indem sie Flexibilität, Beteiligung und eine starke Innovationskultur fördern. Die folgende Tabelle zeigt, wie noch einmal ausgehend vom Trigon Organisationsmodell verschiedene agile Methoden genutzt werden könnten, um den Veränderungsbedarf durch die Einführung von AI-Tools in den verschiedenen Wesenselementen zu adressieren.

Wesenselement Veränderungsdruck und -bedarf durch AI-Tools Agile Methoden zur Adressierung
Identität Anpassung der Unternehmenswerte und Mission, um den Fokus auf Innovation und Technologie zu stärken. Workshops zur Werteentwicklung, Unternehmensleitbild erstellen
Politik, Strategie, Konzepte Integration von AI in die strategische Planung, Neuausrichtung von Zielen zur Nutzung technologischer Vorteile. OKR (Objectives and Key Results), Strategische Planungssitzungen (z.B. mit S3)
Struktur Umgestaltung von Arbeitsabläufen und Hierarchien, um AI-gestützte Prozesse effizient zu integrieren. Cross-funktionale Teams,

Kreisförmige Organisation

«social scrum»

Menschen, Gruppen, Klima Schulung und Weiterentwicklung von Mitarbeiter*innen, Förderung einer AI-freundlichen Unternehmenskultur. Trainingsprogramme, Teambuilding-Aktivitäten

Retrospektiven, Peer-Reviews

Einzelfunktionen, Organe Implementierung von AI in spezifische Geschäftsbereiche zur Optimierung von Aufgaben und Rollen. Funktionsübergreifende Projektteams, flexible Rollenverteilung, Job-Rotationsprogramme
Abläufe, Prozesse Automatisierung von Routineaufgaben, Optimierung von Geschäftsprozessen durch AI-Analysen. Prozessmapping, Lean Management, Kanban Führungsmonitor, kontinuierlicher Verbesserungsprozess (S3)
Mittel, Ausstattung Einführung und Wartung von AI-Systemen, Sicherstellung der Datensicherheit und -qualität. IT-Infrastruktur-Optimierung, Regelmäßige Technologie-Updates

 

Fazit

Das Aufkommen von künstlicher Intelligenz (AI) bietet Non-Profit-Organisationen erhebliche Effizienzsteigerungen, insbesondere bei Routineaufgaben und strategischen Prozessen. Doch die tiefgreifenden organisatorischen Auswirkungen werden oft übersehen. NPOs müssen AI als Anlass für eine umfassende Transformation betrachten, die alle organisatorischen Wesenselemente betrifft. Modelle der Selbstorganisation wie Soziokratie und Holacracy sind besonders geeignet, um diesen Wandel zu bewältigen. Sie fördern Flexibilität, schnelle Entscheidungsfindung und eine Kultur der kontinuierlichen Verbesserung, was die erfolgreiche Integration von AI unterstützt.

Zusätzlich zu den organisatorischen Veränderungen bringen AI-Tools auch ethische Herausforderungen mit sich, die NPOs berücksichtigen müssen und die in diesem Beitrag unberücksichtigt geblieben sind. Dazu gehören Fragen der Datenprivatsphäre und -sicherheit, da AI-Systeme häufig große Mengen an persönlichen und sensiblen Daten verarbeiten. Ebenso besteht das Risiko von Bias und Diskriminierung durch fehlerhafte oder voreingenommene Algorithmen. NPOs müssen sicherstellen, dass ihre AI-Anwendungen transparent, fair und verantwortungsvoll eingesetzt werden, um das Vertrauen der Stakeholder zu erhalten und ethischen Standards gerecht zu werden. Dies erfordert die Etablierung von Richtlinien und Prozessen, um die ethischen Implikationen der AI-Nutzung kontinuierlich zu überwachen und zu adressieren.

Handlungsempfehlungen für NPOs

1.     Transformation der Organisationsstruktur: Implementieren Sie flexible und dezentralisierte Strukturen, um schnelle Anpassungen an AI-gestützte Prozesse zu ermöglichen.

2.     Schulung und Beteiligung der Mitarbeiter*innen: Investieren Sie in kontinuierliche Schulungsprogramme und fördern Sie die aktive Einbindung der Mitarbeiter*innen in Entscheidungsprozesse, um Akzeptanz und Engagement für AI-Initiativen zu erhöhen.

3.     Förderung einer Innovationskultur: Etablieren Sie eine Kultur der kontinuierlichen Verbesserung und Innovation durch regelmäßige Workshops, Retrospektiven und Teambuilding-Aktivitäten, um die Entwicklung und Integration von AI-gestützten Lösungen zu unterstützen.

4.     Implementierung ethischer Richtlinien und Prozesse: Entwickeln Sie umfassende ethische Richtlinien für den Einsatz von AI, die Aspekte wie Datenprivatsphäre, algorithmische Fairness und Transparenz abdecken.

Literatur beim Verfasser

© CC BY-NC-SA

 

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