[FAQ] Frage 6: Woran kann die Umstellung auf Selbstorganisation scheitern?

Laut der Studie zur Agilen Arbeit 2019 bezogen sich die Bedenken neben der unklaren Rechtslage, die an die agile Arbeit angepasst werden müsste und der Gefahr, dass Koordinationen ungerichtet querlaufen und daraus Budgetübertretungen resultieren, auch auf den Umgang mit den Widerständen der Mitarbeitenden, sei es aus entstandener Überforderung, Frustration oder anderen Gründen (Körner/Schreiner 2019: 74ff).

Selbstorganisation funktioniert nicht, wenn nicht alle betroffenen Mitarbeitenden mitmachen, die Führung nicht loslassen will, Mitarbeitende sich unkooperativ verhalten oder wenn von Mitarbeitenden eine Opferhaltung eingenommen wird, die verhindern soll, dass sie Verantwortung übernehmen müssen («In meinem Lohn ist das Treffen von weitreichenden Entscheidungen nicht inbegriffen») (Robertson 2015: 157ff, 181f; Vermeer/Wenting 2016: 113f; Strauch/Reijmer 2018: 163ff).

Vorbehalte, die Menschen einfallen, wenn sie sich zum ersten Mal mit der Organisationsform der Selbstorganisation konfrontiert finden, sind erst einmal allgemeiner Natur. Die Vorstellung, dass Hierarchie im tradierten Sinne ihre Stellung verliert, löst bei den Vorgesetzten und auch bei Untergebenen Ängste aus. Ein Argument betrifft den konkreten Umgang mit der Macht. Darin zielt die Kritik speziell auf den Aspekt der Machtabgabe und des daraus entstehenden anarchischen Zustandes, der als Ergebnis dieses Machtverlustes angenommen wird. Kritisch betrachtet wird auch die Voraussetzung, die Mitarbeitenden als reife und motivierte Menschen zu adressieren, die an ihrer eigenen Entwicklung interessiert sind, wie es bei Laloux vorgeschlagen wird. Viele Organisationen schreiben diese Eigenschaften nicht allen ihren Mitarbeitenden zu (Laloux 2014; Fischer o.J.).

Die Schwierigkeiten von Führungspersonen werden am häufigsten erwähnt. Es handelt sich zum Beispiel dabei um Menschen, die an ihrer Macht hängen und diese nicht loslassen können oder wollen. Da solche Menschen aber oft gar nicht erst selbstorganisiert arbeiten wollen, tritt weitaus häufiger der Fall auf, dass Führungskräfte sich als Helden, «heroic leader» ihres Betriebes sehen, die -unter anderem mit der Einführung von Selbstorganisation- nur das Beste für ihr Unternehmen wollen. Im Sinne von: «Seht her, so mutig bin ich, dass ich zugunsten der Entwicklung der Organisation sogar Selbstorganisation zulasse». Das Aufbrechen der Machtstrukturen ist dann unerwartet mit Spannungen und Konflikten verbunden. Finden sie sich plötzlich in der gleichen Reihe, wie diejenigen, die sie hatten retten wollen, so ist es für sie schwer zurückzustehen, auch wenn die Verantwortungsteilung Entlastung mit sich bringen würde (Robertson 2015: 176ff; Strauch/Reijmer 2018: 163ff).

Die zweite grosse Herausforderung, die immer wieder genannt wird, betrifft die Unreife der Angestellten. In der Holakratie wird sie als «Opferhaltung» beschrieben. Es sind Menschen, die keine Verantwortung übernehmen wollen. Sie beklagen sich gerne über Zustände, ohne wirklich etwas daran ändern zu wollen. Sie sind froh, wenn sie die Verantwortung nicht haben und sich hinter den Strukturen verstecken können. Dahinter steckt oft wenig Selbstvertrauen und Angst. Angst sich zu exponieren, Fehler zu machen oder andere Mitarbeitenden zu beleidigen oder zu verärgern (Robertson 2015: 183ff).

Die kritischen Beiträge beschränken sich darauf, in Teilbereichen der agilen Organisationsformen gefährliche Entwicklungsmöglichkeiten anzumahnen. Die meisten angesprochenen Probleme einer Einführung betreffen individuelle, organisatorische und sachliche Schwierigkeiten, denen mit der genauen Beachtung der Regelwerke bspw. bei Holakratie beizukommen ist (Strauch/Reijmer 2018: 170ff), resp. die nach unseren Erfahrungen mit einem reflektierten und von Überzeugung getragenem Prozess zu bewältigen sind. Offiziell ist kaum grundlegende Kritik an der Selbstorganisation zu finden. Im Gegenteil, sie wird überall selber als Kritik zum Beispiel an der Psychologie, an der Informationsgesellschaft, an der modernen Arbeitserziehung (Zimmer 1987) etc. bemüht.

Quellenverzeichnis

Fink, Franziska/Moeller, Michael (2018) Purpose Driven Organizations. Schäfer Poeschel Verlag. Stuttgart.

Fischer, Markus (o.J.)
https://kultur-wandeln.de/selbstorganisation-holokratie-loest-nicht-alle-probleme%E2%80%8A-und-wird-oft-selbst-zum-problem/ [Zugriff am 04.10.2019]

Körner, Peter/Schreiner, Paul (2019) Agile Arbeit. CLI Corporate Legal Insights. Luther Rechtsanwaltsgesellschaft mbH (Hrsg.). Frankfurt. Bundesverband der Unternehmensjuristen (2019)

Robertson, Brian J. (2015a) Holacracy – ein revolutionäres Management-System für eine volatile Welt. München : Franz Vahlen Verlag.

Strauch, Barbara/Reijmer Annewiek (2018) Soziokratie. München. Verlag Franz Vahlen

Vermeer, Astrid/Wenting, Ben (2016) Self-Management. How it does work.» rbi reed business information. Amsterdam.

Zimmer, Gerhard (1987) Selbstorganisation des Lernens: Kritik der modernen Arbeitserziehung Frankfurt am Main. Peter Lang

 

Mirjam Buchmann

Selbständige Sozialpädagogin M.A. und Phameotherapeutin

Während rund 20 Jahren arbeitete Frau Buchmann in unterschiedlichen stationären Institutionen (Beobachtungsstation, Massnahmezentrum, Schulheim, Kinderheim, Schulbegleitung; KITA) und absolvierte verschiedene Weiterbildungen (Praxisausbildung, Gewaltberatung/Phaemotherapie). Während des Masterstudiums an der FHNW Olten, Soziale Arbeit, Schwerpunkt Innovation war sie als wissenschaftliche Assistentin an der FHNW vor allem zur Selbstorganisation tätig. Die Masterarbeit behandelt das Thema «Macht in Selbstorganisation». Aktuell arbeitet sie selbständig (www.bebeth.ch) als Dozentin an der FHNW und in der Beratung von Organisationen, Familien und Einzelpersonen mit Schwerpunkt Selbstorganisation, sowie Konflikt/Gewalt

mirjam.buchmann@netzwerkselbstorganisation.net

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