[Literatur] Soziokratie 3.0. Der Roman.

von Jef Cumps (2021)1

Eine Buchbesprechung von Urs Kaegi.

Heute mal eine Rezension zu einem Buch Mitten aus der Selbstorganisation. Jedoch nicht eines in der üblichen Version als Sachbuch, sondern, wie der Titel sagt, ein Roman.
Soziokratie als Roman: geht das? Ja! Aber….
Jef Cumps stellt in seinem 2021 erschienen Buch den Ansatz Soziokratie 3.0 (S3), also eine Weiterentwicklung des soziokratischen Ansatzes, vor, in dem er die verschiedenen Elemente an-hand eines praktischen Falles darlegt. Die – fiktive – Firma Human Ressource Solution, HRS, steht vor grösseren Herausforderungen und gestaltete den Transformationsprozess anhand S3. Als Lesende begleiten wir Chris, den neuen Geschäftsführer, bei der Umsetzung, gecoacht von Bernie, einem externen Berater.

Ich würde dem Buch 8.5 von 10 möglichen Punkten geben, wenn man gerne Romane liest. Wer knappe, sachliche Darstellungen von S3 wünscht, der/die wird weniger auf seine Rechnung kommen, höchstens ein 4!


Um was geht es?

Die HRS hat die Auslieferung einer überarbeiteten Softwareapplikation verschlafen. Die Planung, Entwicklung und Umsetzung dauerten zu lange. Der alte Geschäftsführer fürchtet um die Existenz der Firma und bittet Chris seinen Job zu übernehmen. Die Wahl ist auf Chris gefallen, weil er bereits als Teamleiter einen kooperativen Führungsstil pflegte und mit Charisma ausgestattet ist, was dem alten Geschäftsführer gute Voraussetzungen scheinen. Erste Zweifel von Chris, ob er das überhaupt schaffe, räumt Bernie, der Berater, aus dem Weg, indem er ihm das Arbeiten mit S3 darlegt.

In den weiteren Teilen des Buches werden dann entlang dem Transformationsprozess die verschiedenen Elemente von S3 dargelegt. Für diejenigen, welche sich für die Unterschiede zwischen Sozikokratie und der Version S3 interessieren, sei auf eine Darstellung von Christian Rüther verwiesen: https://www.soziokratie.org/wp-content/uploads/2019/07/vergleich-soziokratie-s3.pdf (Christian: herzlichen Dank, saubere «Büetz» würde man in der Schweiz sagen!)

Sieben Prinzipien von S3

Als erstes werden die sieben Prinzipien als Grundlagen von S3 vorgestellt:

  • Konsent als grundsätzliches Entscheidungsprinzip. Andere sind möglich, aber der Konsent entscheidet darüber, ob andere möglich sind.
  • Gleichstellung bedeutet, «dass alle, die von einer Entscheidung betroffen sind, die Möglichkeit haben sollen, diese zu beeinflussen» (S. 4). Es geht nicht darum, dass alle gleich sind! Dazu gilt der Einwand als Grundprinzip um kontinuierliche Verbesserungen zu ermöglichen.
  • Empirismus und kontinuierliche Verbesserungen passen gut zusammen. Sie basieren darauf, dass Arbeiten faktenbasiert sein müssen, also nicht auf Annahmen beruhen, sondern durch stetige Experimente und Überprüfungen untersucht werden.
  • Mit Verantwortung gilt, dass alle reagieren, unterstützen und Verantwortung für getroffene Vereinbarungen übernehmen.
  • Transparenz gilt für alle Informationen, sie sind für alle zugänglich, ausser denjenigen, welche aus nachvollziehbaren Gründen vertraulich sind.
  • Zu allem gehört noch Effektivität, um zu gewährleisten, dass Ziele erreicht werden und mit Ressourcen schonend umgegangen wird.

Treiber sind Grundlagen von Veränderungen

«Ein Treiber ist die Motivation einer Person oder Gruppe, auf eine spezifische
Situation zu reagieren» (S. 57)

Wichtig sind den Protagonistinnen und Protagonisten von S3 «Treiber» zu definieren. Diese können auch als Ursachen des Wunsches nach Veränderung bezeichnet werden. Es gilt diese klar herauszuarbeiten: Was ist passiert und welche Effekte hat das?

Andern Ortes würde man dies wahrscheinlich als das „Herstellen eines gemeinsam geteilten Bildes“ bezeichnen.

Da das Buch als Geschichte konzipiert ist, wird die Arbeit der Transformation sehr bildhaft beschrieben. Auch die damit verbundenen Führungsfragen und der Umgang mit Mitarbeitenden finden breiten Platz. Für mich etwas zu ausführlich, aber wem bildhafte Beschreibungen zusagen, kommt hier voll auf seine Rechnung.

Ansprechend ist auch die Rolle des Beratenden dargelegt. Wann er eingreift, wie er interveniert und wann er auch negativen Erfahrungen zulässt.

Von Domänen, Kreise, Rollen, Verantwortlichkeiten, Entscheidungsfindung, Wahl, Steuerungstreffen, Evaluation…

Die weiteren Teile einer soziokratisch organisierten Firma wie Domänen, Kreise, Rollen, Verantwortlichkeiten, Entscheidungsfindung werden im Buch (zu?) ausführlich und in Praxisbeispielen dargelegt. Die entsprechenden Grafiken sind gut verständlich.

Mich hat beim Lesen des Buchs vor allem der Ansatz des stetigen Überprüfens angesprochen. Regelmässig werden die Arbeiten, aber auch die neuen Strukturen, überprüft und bewertet und allenfalls angepasst. Es gibt nicht die allzeit gültige strukturelle Lösung für eine Organisation, sondern es gibt einen Ansatz, welcher «good enough to try and safe enough for now ist». Zeigen sich geeignetere Strukturen oder Bearbeitungen für anstehende Herausforderungen ab, so verlässt man den eingeschlagenen Weg und probiert etwas Neues. Das nenne ich agil!

Mein Fazit

Muss man das Buch gelesen haben? Ja, wer sich gerne in Form eines Romans in die Elemente der Soziokratie, insbesondere des Ansatzes S3, einlesen möchte und wer Prozesse in einem Transformationsprozess kennenlernen möchte.

Wie bereits beim Buch von Raworth zu Donut-Ökonomie muss ich auch dieses Mal eingestehen, beim Lesen immer wieder mal ein/zwei Seiten überblättert zu haben. Mir ist die Geschichte etwas zu ausführlich und etwas zu rosa dargestellt… Aber der Autor möchte schlussendlich auch ein positives Fazit von S3 vorstellen.

Viel Spass beim Lesen wünscht euch, Urs Kaegi

Solothurn, den 3. Februar 2022

  1. Cumps, Jef (2021). Soziokratie 3.0. Der Roman. Das volle Potenzial von Menschen und Organisationen freisetzen. Heidelberg: dpunkt.
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Urs Kaegi (Alle Beiträge sehen)

em. Professor der Fachhochschule Nordwestschweiz, selbständiger Coach und Organisationsberater

Schwerpunkte: Kooperation in Organisationen, organisationaler Wandel

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