Warum Transformationen scheitern – und wie wir es besser machen können

Warum Transformationen scheitern – und wie wir es besser machen können

Inspiriert durch den Artikel „Die sieben Schritte des Scheiterns“ in der NZZ am Sonntag vom 2.4.2025

Peter Zängl

Transformationen hin zu mehr Selbstorganisation sind kein Selbstläufer. Ähnlich wie IT-Projekte scheitern sie oft an fehlender Klarheit, überzogenen Erwartungen, mangelnder Fehlerkultur oder kulturellen Widerständen. In dem kürzlich erschienenen Artikel der NZZ am Sonntag (Müller, Messmer, Chladny, 2025) wurden sieben typische Fehler in IT-Projekten identifiziert, die sich direkt auf Organisationstransformationen übertragen lassen. In diesem Beitrag zeige ich entlang der Überschriften des NZZ-Artikels Parallelen zu Transformationsprozessen in Richtung einer Selbstorganisation auf und gebe spezifische und konkrete Handlungsempfehlungen, um einen entsprechenden Wandel erfolgreich zu gestalten.

1. Es fehlt der Sinn – Selbstorganisation als Selbstzweck?

Viele Transformationen starten ohne ein klares „Warum“. Das führt dazu, dass Beteiligte die Veränderungen nicht mittragen, weil ihnen der übergeordnete Sinn nicht ersichtlich ist. Organisationen wechseln dann zur Selbstorganisation, weil „agil modern ist“, nicht weil sie ein echtes Problem lösen wollen. Dies führt oft dazu, dass Mitarbeitende und Führungskräfte die Veränderungen nur widerwillig unterstützen oder aktiv blockieren. Ohne einen klaren Grund für die Veränderung bleibt die Selbstorganisation ein leeres Konzept ohne Wirkung.

Oft fehlt auch eine überzeugende Kommunikation darüber, welche konkreten Verbesserungen Selbstorganisation bringen soll. Ist sie eine Lösung für Effizienzprobleme? Soll sie Innovation fördern? Oder geht es darum, die Attraktivität der Organisation für Fachkräfte zu erhöhen? Fehlt diese Klarheit, bleibt die Transformation inkonsistent, und die Beteiligten verlieren das Vertrauen in den Prozess.

Konkrete Handlungsempfehlungen:

  • Transformation mit einem echten Bedarf verknüpfen: Ist die Organisation zu langsam? Zu unflexibel? Wird Selbstorganisation als Lösung für ein von möglichst allen Beteiligten spürbares Problem wahrgenommen? Falls nicht, ist der Wandel zum Scheitern verurteilt.
  • Klare Narrative entwickeln: Die Mitarbeitenden müssen verstehen, warum der Wandel für sie persönlich relevant ist. Konkrete Praxisbeispiele helfen mehr als abstrakte Prinzipien.
  • Visionsarbeit als partizipativen Prozess gestalten: Statt top-down zu entscheiden, sollte die Organisation gemeinsam ein Zukunftsvorstellung erarbeiten und warum dabei Selbstorganisation sinnvoll ist.

2. Zu viele wollen viel zu viel – Selbstorganisation ist kein Allheilmittel

Viele Unternehmen versuchen, zu viel auf einmal umzusetzen: Hierarchien werden abgeschafft, Entscheidungsprozesse umgestellt, Teams neu strukturiert – und das alles gleichzeitig. Das Ergebnis: Chaos. Veränderungen greifen ineinander, sind unkoordiniert und oft nicht ausreichend getestet. Mitarbeitende sind überfordert, weil sie sich nicht mehr an gewohnte Strukturen halten können, aber auch keine neuen stabilen Prozesse zur Verfügung stehen.

Ein weiteres Problem ist die Erwartung, dass Selbstorganisation alle bestehenden Herausforderungen automatisch löst. Wenn Teams plötzlich selbst Entscheidungen treffen dürfen, bedeutet das nicht zwangsläufig, dass sie bessere oder schnellere Entscheidungen treffen. Ohne unterstützende Massnahmen, wie gezielte Kompetenzentwicklung, Feedbackmechanismen oder klare Entscheidungsprinzipien, kann der Wandel sogar zu schlechterer Zusammenarbeit führen.

Konkrete Handlungsempfehlungen:

  • Fokus auf kleine, sichtbare Veränderungen: Beispielsweise eine einzelne Abteilung mit selbstorganisierten Teams starten lassen, anstatt die ganze Organisation umzukrempeln.
  • Iterative Einführung: Beispielsweise eine Entscheidungsfindungsmethode wie „Beratungsprozess“ zuerst an einem kleinen Thema erproben, bevor sie flächendeckend eingeführt wird.
  • Nicht alles Alte abschaffen: Bewährte Strukturen und Abläufe können mit neuen kombiniert werden. Ein evolutionärer Ansatz ist erfolgversprechender als eine Revolution.

3. Die Illusion der guten Planung – Selbstorganisation braucht Lernschleifen

Viele Unternehmen planen den Wandel zur Selbstorganisation wie ein klassisches Top-down-Projekt – mit Meilensteinen, Deadlines und Lastenheften. Doch Selbstorganisation entsteht nicht auf dem Reissbrett. In komplexen Systemen ist es unmöglich, alle Variablen vorherzusehen. Der Versuch, einen vollständigen Plan zu erstellen, bevor die Transformation beginnt und dann daran festzuhalten, ist zum Scheitern verurteilt.

Selbstorganisation erfordert flexible Anpassung an unerwartete Herausforderungen. Oft werden Teams in neue Strukturen gesetzt, ohne ihnen die nötige Zeit und Unterstützung zur Reflexion und Weiterentwicklung zu geben. Das führt zu Frustration, weil starre Pläne verhindern, dass sich natürliche Arbeitsweisen entwickeln.

Konkrete Handlungsempfehlungen:

  • Den Wandel als Experiment gestalten: Statt eine Masterplanung zu erstellen, sollte die Organisation Hypothesen aufstellen, kleine Experimente durchführen und kontinuierlich lernen.
  • Feedbacksysteme einbauen: Regelmässige Retrospektiven oder Lernräume schaffen, in denen die Transformation reflektiert wird.
  • Flexibilität bewahren: Prozesse nicht in Stein meisseln, sondern als Prototypen behandeln, die bei Bedarf weiterentwickelt werden.

4. Wuchernder Wildwuchs beim Organigramm – Klare Rollen statt formales Chaos

Selbstorganisation heisst nicht, dass es keine Strukturen mehr gibt. Häufig entstehen unklare Zuständigkeiten oder Doppelstrukturen, die niemand mehr überblickt. Wenn keine klaren Entscheidungswege existieren, entstehen Machtkämpfe zwischen verschiedenen Teams oder Rollen. Wer ist wofür verantwortlich? Wer trifft welche Entscheidungen?

Organisationen, die diesen Punkt nicht frühzeitig klären, laufen Gefahr, dass ihre Transformation in Ineffizienz und Unsicherheit versinkt. Mitarbeitende sind frustriert, weil sie nicht wissen, an wen sie sich wenden sollen, wenn Probleme auftauchen. Auch Führungskräfte fühlen sich oft orientierungslos, wenn ihre alte Rolle abgeschafft wurde, aber keine neuen Verantwortlichkeiten definiert sind.

Konkrete Handlungsempfehlungen:

  • Klare Rollen definieren: Zum Beispiel durch Rollenmodelle wie in Holacracy oder Soziokratie.
  • Entscheidungsprozesse transparent machen: Wer trifft welche Entscheidungen? Hier helfen Entscheidungspraktiken wie der Konsentprozess oder das „Advice Process“-Modell.
  • Zentrale Steuerung vermeiden, aber Ankerpunkte schaffen: Eine kleine Gruppe kann als „Transformationsteam“ agieren, um Orientierung und Unterstützung zu geben.

5. Es scheitert an der Kultur, nicht an der Technik

Ein weit verbreiteter Irrtum ist, dass technische oder methodische Lösungen allein eine erfolgreiche Transformation garantieren. Doch wie in IT-Projekten zeigt sich auch bei Selbstorganisation: Es scheitert selten an den Tools oder Prozessen – sondern an den Menschen und der bestehenden Unternehmenskultur. Fehlendes Vertrauen, Angst vor Kontrollverlust oder mangelnde psychologische Sicherheit sind zentrale Blockaden. Selbstorganisation erfordert ein grundlegendes Umdenken, insbesondere bei Führungskräften, die nicht mehr in klassischen hierarchischen Strukturen operieren können.

Ein Beispiel hierfür sind Organisationen, die zwar formell selbstorganisierte Teams einführen, aber informell weiterhin auf eine Kontrolle von oben setzen. Dies führt zu Unsicherheiten und Misstrauen, da Mitarbeitende sich nicht sicher fühlen, Verantwortung zu übernehmen. Ohne eine Kultur des Vertrauens wird die Transformation zu Selbstorganisation zur reinen Fassade.

Konkrete Handlungsempfehlungen:

  • Sicherheitsräume schaffen: Mitarbeitende müssen sich sicher fühlen, Verantwortung zu übernehmen. Das braucht psychologische Sicherheit.
  • Führung neu definieren: Führungskräfte sollten sich nicht zurückziehen, sondern als „Coaches“ agieren, die den Wandel begleiten.
  • Kommunikationsstrukturen bewusst gestalten: Ohne regelmässige und offene Kommunikation zerfallen selbstorganisierte Strukturen schnell in Silos.

6. Fehler machen, aber richtig – Eine konstruktive Fehlerkultur etablieren

In vielen Organisationen herrscht eine „Wassermelonen-Kultur“: Aussen scheint alles im grünen Bereich, doch im Inneren sind längst Probleme sichtbar. IT-Projekte und Transformationen in Richtung Selbstorganisation scheitern oft an einer fehlenden Fehlerkultur. Wenn Fehler nicht offen angesprochen oder als Lernchancen genutzt werden, entstehen Verdrängungsmechanismen, die den Wandel hemmen.

Selbstorganisation erfordert eine Kultur, in der Probleme nicht als persönliche Schwäche, sondern als Chance zur Verbesserung gesehen werden. Ohne ein offenes Fehlermanagement wird Vertrauen untergraben, und Mitarbeitende halten sich mit innovativen Ideen zurück, um keine Risiken einzugehen. Dies kann dazu führen, dass sich neue Strukturen nicht festigen oder dass frühzeitige Warnsignale übersehen werden.

Konkrete Handlungsempfehlungen:

  • Fehler sichtbar machen: Beispielsweise durch „Failure Reports“ oder regelmässige Fehler-Review-Meetings.
  • Fehlertoleranz belohnen: Führungskräfte müssen Fehlermachen aktiv positiv verstärken, z. B. durch die öffentliche Anerkennung von Lernmomenten.
  • Experimentierräume schaffen: Durch gezielte „Safe-to-Fail“-Projekte, in denen Teams risikofrei neue Arbeitsweisen testen können.

7. Nach dem Projekt ist vor dem Projekt – Selbstorganisation ist ein kontinuierlicher Prozess

Viele Organisationen denken, dass Selbstorganisation irgendwann „fertig“ ist. Doch wie bei IT-Projekten zeigt sich: Ein neues System muss kontinuierlich weiterentwickelt werden. Selbstorganisation ist kein Zustand, sondern ein fortlaufender Prozess. Wenn Organisationen nach der Einführung nicht weiterhin reflektieren und anpassen, fallen sie oft in alte Muster zurück. An der Netzwerktagung Ende August 2025 werden wir uns über Selbstorganisation: next level dazu austauschen[UK1] .

Besonders problematisch wird es, wenn das Transformationsprojekt mit einem offiziellen Enddatum versehen wird. Sobald die externe Begleitung oder das interne Change-Team aufgelöst wird, gibt es keine Instanz mehr, die sich um die Weiterentwicklung kümmert. Oft ist der Rückfall in alte Hierarchien oder ineffiziente Entscheidungsstrukturen dann nur eine Frage der Zeit.

Konkrete Handlungsempfehlungen:

  • Selbstorganisation als laufenden Lernprozess etablieren: Regelmässige Reflexionsformate wie „Learning Journeys“ oder „Zukunftswerkstätten“ helfen, Anpassungen vorzunehmen.
  • Strukturelle Pflege sicherstellen: Rollen, Prozesse und Entscheidungsmechanismen regelmässig überprüfen und weiterentwickeln.
  • Verantwortlichkeiten für Weiterentwicklung klar zuweisen: Ein festes Team oder eine Gruppe von „Kulturexperten“ kann die Entwicklung kontinuierlich begleiten.

Fazit

Der NZZ am Sonntag-Artikel zeigt eindrücklich, dass IT-Projekte oft an denselben Fallstricken scheitern wie Transformationsprozesse in Organisationen in Richtung Selbstorganisation: fehlender Sinn, überladene Anforderungen, starre Planungen, unklare Strukturen, kulturelle Widerstände und mangelnde Fehlerkultur. Die Parallelen sind offensichtlich – und die Lehre daraus klar: Erfolgreiche Selbstorganisation entsteht nicht durch einen grossen Plan, sondern durch schrittweises, kontinuierliches Lernen.

Der Wandel zu Selbstorganisation scheitert nicht an fehlenden Methoden oder Tools – sondern an der Art und Weise, wie er gestaltet wird. Wer Selbstorganisation als starres Projekt behandelt, wird scheitern. Wer aber die Transformation als iterativen Lernprozess versteht, der mit kleinen Experimenten beginnt, klare Narrative entwickelt und eine echte Fehler- und Feedbackkultur etabliert, hat deutlich bessere Chancen auf nachhaltigen Erfolg. Selbstorganisation ist kein Endzustand – sondern eine permanente Entwicklungsreise.

 

 

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