[FAQ] Frage 7: Wie werden bei Selbstorganisation Entscheidungen getroffen und wer entscheidet?

Wie verändert sich eine Organisation? Noch mehr als durch einzelne Entscheidungsänderungen durch das Verändern der Entscheidungsprämissen, die dahinter liegen und alle Entscheidungen konstituieren. Luhmann richtet den Blick damit auf das Management (vgl. Luhmann 1988: 176ff und Fink/Moeller 2018: 46f). Bezeichnend an der Selbstorganisation ist das Vorgehen, diese Prämisse weg von Personen der oberen Hierarchiestufen des Managements hinein in einen Entscheidungsprozess zu verlagern, der allen Mitgliedern der Organisation gleichermassen offensteht. Verantwortung wird darin situativ von den für ein Thema zuständigen Mitgliedern übernommen. Um damit einzelnen Personen nicht wieder zu viel Einfluss zukommen zulassen, werden gewisse formale Vorgaben vor allem für Rollen und Kommunikationswege benötigt. Damit dieses Vorgehen konstruktiv wird, bedingt einen grundlegenden Wandel in der Organisation, hin zu einer gemeinsam geteilten Werte- und Kulturvorstellung. Die Kultur der Kontrolle wird ersetzt durch eine Grundhaltung des Vertrauens, das allen Mitgliedern einer Gruppe gleichermassen entgegengebracht wird (Vermeer/Wenting 2016: 24ff; Fink/Moeller 2018: 82ff). Ebenso sehen wir den Anspruch an Entscheidungen, diese jederzeit korrekt treffen zu müssen, als Grund für eine Veränderung. In der Selbstorganisation gilt, dass Entscheidungen auch wieder angepasst werden können, wenn sie sich als nicht zutreffend erweisen.

Funktion von Steuerungskreisen

Governance in der Holakratie und etwas weniger ausdifferenziert auch der Grundsatzkreis der Soziokratie, steht für das Steuerungsmeeting, wie es in allen Organisationen meist implizit, oft in Form von formalen Hierarchiepositionen besetzt wird. In der Holakratie ist es ein expliziertes Gefäss, welches alle Mitarbeitenden repräsentiert. Darin werden Führungsfunktionen in Organisationsprozesse umgewandelt. Der Inhalt besteht im Benennen von Spannungen, dem Formulieren von Erwartungen und der Verteilung von Autoritäten (Rollenveränderungen). Aus der Sicht der ehemaligen Führungskräfte wird durch diesen Ort, an dem das ganze Wissen der Organisation auf verschiedene Rollen verteilt zusammenkommt, die Komplexität reduziert und es findet Entlastung statt. Für normale Mitarbeitende wird dadurch die Möglichkeit mitzureden gewährleistet. Gemeinsam wird das Unternehmen weiterentwickelt. Kurz: Governance ist der Ort, an dem auf der Meta-Ebene (Rollen) Klarheit geschaffen wird. Dadurch wächst das Vertrauen (Robertson 2015: 25ff, 38f).

Abgegrenzt davon sind die operativen Tactical-Meetings der Holakratie, in der Soziokratie der Ausführungskreis, in denen die laufenden Entscheidungen des Tagesgeschäfts getroffen werden und die häufiger stattfinden. Als Kreismitglied geht die Verpflichtung einher, Transparenz über die eigene Rolle herzustellen und Anfragen anderer aus dem Kreis zu bearbeiten (nicht zwingend sofort umzusetzen), dabei soll nicht terminiert werden, da dadurch die Flexibilität verloren geht (Robertson 2015: 86ff).

Konsent-Entscheidungen

Sobald die Entscheidungsmacht weg von einer Person oder der Leitungsebene genommen wird, geht es um demokratische Entscheidungsfindungen. Dafür stehen Abläufe wie Konsens, Mehrheitsentscheide und Konsent zur Verfügung. Der Konsens als Beschlussform wird von Laloux` «grünen» Organisationen, in denen Einheitsentscheide angestrebt werden bevorzugt (ebd. 2014: 30) und auch in der Selbstorganisation Buurtzorg in den Niederlanden angestrebt (Vermeer/Wenting 2016: 26). Um die beste Form für sein Unternehmen zu finden, entschied sich Endenburg gegen den Konsens mit der Begründung, dass ein Konsensbeschluss viel zu lange dauert, bis er gefasst werden kann. Er verwarf auch den Mehrheitsbeschluss, weil er oft unzufriedene, nicht berücksichtigte Akteure hinterlässt, die sich dann unkooperativ verhalten. Diese Möglichkeiten bestehen in seinem Unternehmen zwar weiterhin, aber ihnen wird ein Entscheid durch Konsent vorgelagert (Strauch/Reijmer 2018: 9ff). Das bedeutet, es kann im Konsent auch entschieden werden, eine andere Entscheidungsform anzuwenden, bis hin zu einem konsultativen Einzelentscheid. Dieser lässt eine Person allein entscheiden, wenn sie vorher alle anderen von ihrem Entscheid beteiligte Personen und allfällige Experten und Expertinnen einbezogen hat (Fink/Moeller 2018: 80 und 257). Endenburg begründet die Wahl des Konsent damit, dass diese Form der Entscheidung am wenigstens manipulierbar ist und sich in Krisensituationen am stabilsten erwiesen hat (Strauch/Reijmer 2018: 9).

Konsent bedeutet, dass die Meinung aller Beteiligten gehört wird und ihre in Bezug auf das Unternehmensziel zu bedenkenden Einwände in die zu beschliessende Vorschläge aufgenommen und diese dahingehend verbessert werden. Ein Entschluss soll gefällt werden, wenn er gut genug ist, um keinen existentiellen Schaden anzurichten und nicht, wenn er perfekt ist. Der Einbezug aller Beteiligter bei der Lösungsfindung soll die Akzeptanz einer beschlossenen Lösung fördern, auch wenn nicht alle Anwesenden restlos glücklich damit sind. So wird es in der Soziokratie, Holakratie und auch beim Ansatz Purpose Driven gehandhabt (Robertson 2015a: 19f; Fink/Moeller 2018: 106).

Quellenverzeichnis

Fink, Franziska/Moeller, Michael (2018) Purpose Driven Organizations. Schäfer Poeschel Verlag. Stuttgart.

Laloux, Frederic (2014) Reinventing organizations. Nelson Parker. Belgien.

Luhmann, Niklas (1988) Organisation. In: Küpper, Willi/Ortmann, Günther (Hrsg.) (1988) Mikropolitik. Opladen: Westdeutscher Verlag GmbH. S.165-185

Robertson, Brian J. (2015a) Holacracy – ein revolutionäres Management-System für eine volatile Welt. München : Franz Vahlen Verlag.

Strauch, Barbara/Reijmer Annewiek (2018) Soziokratie. München. Verlag Franz Vahlen

Vermeer, Astrid/Wenting, Ben (2016) Self-Management. How it does work.» rbi reed business information. Amsterdam.

 

Mirjam Buchmann

Selbständige Sozialpädagogin M.A. und Phameotherapeutin

Während rund 20 Jahren arbeitete Frau Buchmann in unterschiedlichen stationären Institutionen (Beobachtungsstation, Massnahmezentrum, Schulheim, Kinderheim, Schulbegleitung; KITA) und absolvierte verschiedene Weiterbildungen (Praxisausbildung, Gewaltberatung/Phaemotherapie). Während des Masterstudiums an der FHNW Olten, Soziale Arbeit, Schwerpunkt Innovation war sie als wissenschaftliche Assistentin an der FHNW vor allem zur Selbstorganisation tätig. Die Masterarbeit behandelt das Thema «Macht in Selbstorganisation». Aktuell arbeitet sie selbständig (www.bebeth.ch) als Dozentin an der FHNW und in der Beratung von Organisationen, Familien und Einzelpersonen mit Schwerpunkt Selbstorganisation, sowie Konflikt/Gewalt

mirjam.buchmann@netzwerkselbstorganisation.net

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Während rund 20 Jahren arbeitete Frau Buchmann in unterschiedlichen stationären Institutionen (Beobachtungsstation, Massnahmezentrum, Schulheim, Kinderheim, Schulbegleitung; KITA) und absolvierte verschiedene Weiterbildungen (Praxisausbildung, Gewaltberatung/Phaemotherapie). Während des Masterstudiums an der FHNW Olten, Soziale Arbeit, Schwerpunkt Innovation war sie als wissenschaftliche Assistentin an der FHNW vor allem zur Selbstorganisation tätig. Die Masterarbeit behandelt das Thema «Macht in Selbstorganisation». Aktuell arbeitet sie selbständig (www.bebeth.ch) als Dozentin an der FHNW und in der Beratung von Organisationen, Familien und Einzelpersonen mit Schwerpunkt Selbstorganisation, sowie Konflikt/Gewalt

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