[Streit!] Sind Entscheidungen in Selbstorganisation langwierig und ineffizient?

Mit der Streit!-Rubrik wollen wir den Austausch rund um Themen der Selbstorganisation fördern. Wir liefern eine Aussage, die in Diskussionen rund um Selbstorganisation immer wieder auftaucht und ihr könnt auf unserer Webseite darauf reagieren. Zur Auswahl stehen folgende Reaktionen: Konsent, leichte Bedenken, schwerwiegender Einwand. Weiter bitten wir euch, mittels Kommentarfunktion einen Kommentar dazu zu verfassen. Dort findet ihr auch die Meinung derjenigen, welche die Aussage ins Spiel gebracht haben. Die heutige Aussage lautet:

In einer Selbstorganisation dauert es viel zu lange, bis alle Mitarbeitenden zu einer Entscheidung mitgenommen sind und ist daher ineffizient.

Die Aussage wurde von Mirjam Buchmann eingebracht. Ihre Meinung zur Aussage findet ihr in den Kommentaren.

Was meint ihr zur Aussage?

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Mirjam Buchmann (Alle Beiträge sehen)

Selbständige Sozialpädagogin M.A. und Phameotherapeutin

Während rund 20 Jahren arbeitete Frau Buchmann in unterschiedlichen stationären Institutionen (Beobachtungsstation, Massnahmezentrum, Schulheim, Kinderheim, Schulbegleitung; KITA) und absolvierte verschiedene Weiterbildungen (Praxisausbildung, Gewaltberatung/Phaemotherapie). Während des Masterstudiums an der FHNW Olten, Soziale Arbeit, Schwerpunkt Innovation war sie als wissenschaftliche Assistentin an der FHNW vor allem zur Selbstorganisation tätig. Die Masterarbeit behandelt das Thema «Macht in Selbstorganisation». Aktuell arbeitet sie selbständig (www.bebeth.ch) als Dozentin an der FHNW und in der Beratung von Organisationen, Familien und Einzelpersonen mit Schwerpunkt Selbstorganisation, sowie Konflikt/Gewalt

mirjam.buchmann@netzwerkselbstorganisation.net

3 Gedanken zu “[Streit!] Sind Entscheidungen in Selbstorganisation langwierig und ineffizient?”

  1. Einwand. Ja es dauert (viel) länger und braucht mehr und sorgfältigere Kommunikation in einer Selbstorganisation bis alle beteiligten Personen einer Entscheidung auf demselben Stand der Informationen sind und auch verstanden haben, wer gerade in der Verantwortung für was ist. Der Grund dafür ist meiner Meinung nach in den Überresten hierarchischer Werte aus unserer Sozialisation zu suchen. Nicht alle Mitarbeitenden einer Selbstorganisation verstehen auf Anhieb in jeder Lage dasselbe unter dem Begriff und erkennen die sich bietenden Möglichkeiten. Alle auf denselben Stand zu bringen, aus dem sie dann aktiv werden und ihr Potential entfalten können, dauert seine Zeit. Und ich bin überzeugt, es ist es das wert. Die Chancen, die sich für die einzelnen Menschen im Umgang mit sich selbst und mit anderen zu verschiedenen anstehenden Themen bieten, dienen der Weiterentwicklung und können, wird der Weg zu Ende gegangen, unbezahlbares Potential für die Organisation/das Projekt- und alle beteiligten Menschen entfalten. Im Sinne von: Das Ganze ist weit mehr als die Summe seiner Teile.

  2. Einwand!
    Ich verstehe die Effizienz von Entscheidungen als den Aufwand für die Entscheidungsfindung im Verhältnis zur Qualität und dem Nutzen der Entscheidung.

    «the beauty of Selbstorganisation» ist, dass wir unterschiedliche Sichtweisen in partizipativen Entscheidungsprozessen hören, verstehen und einbeziehen. Ja, das braucht Zeit und kann langwierig wirken (Stichwort Aufwand).

    Schauen wir uns Qualität und Nutzen an, zeigen sich die Vorteile der Selbstorganisation deutlich: In einem eingespielten, selbstorganisierten Team haben alle, die entscheiden, alle relevanten Informationen und Fähigkeiten, damit sie entscheiden können. Entscheidungen in einer hierarchischen (bürokratischen) Organisation werden von Personen getroffen, die selten gleichzeitig das «big picture» verstehen und spezifisches Fachwissen haben. Solche Entscheidungen werden dann häufig hinterfragt, bezweifelt, nur halbherzig und murrend umgesetzt, boykottiert, dann wieder revidiert und neu getroffen usw. Kurz, diese Art von Entscheidungen ist höchst ineffizient. Breit abgestützte Entscheidungen dagegen sind tragfähiger («alle stehen dahinter»), haben eine hohe Akzeptanz und sind somit vom Entscheidungsprozess her vielleicht langwieriger, aber wenn wir die Umsetzung (= Qualität und Nutzen) betrachten, deutlich effizienter als «top down Einzelentscheide». Hinzu kommen die Aspekte der lernenden, sich entfaltenden Organisation, die Mirjam oben schön beschreibt.

  3. Einwand 🙂

    Es kommt darauf an, was unter Selbstorganisation verstanden wird/wie diese gelebt wird.

    In meinem Verständnis geht es bei Selbstorganisation darum, dass ein Team sich selbst führt, statt dass eine Führungskraft führt. D.h. aber noch nicht, dass deshalb alle bei allen Entscheidungen mitentscheiden.

    Damit das in der These beschriebene Szenario nicht passiert, macht es meiner Erfahrung nach Sinn dass…
    1) …viele Entscheidungen in der Verantwortung von einer Rolle liegen bzw. zwischen zwei Rollen entschieden werden. Nur ein gewisser Teil wird dann wirklich im ganzen Kreis/Team entschieden. Gleichzeitig können die Rolleninhaber:innen sich aber immer auch da wo sie Entscheidungsautonomie habe, Rat holen bei anderen Teammitgliedern.
    2) … smarte Entscheidungsmethoden verwendet werden, die möglichst viele Perspektiven integrieren ohne lähmend zu sein und endlose Diskussionen zu fördern. Ich schätze hier insbesondere den KonsenT-basierten integrativen Entscheidungsprozess, wie er in Soziokratie oder Holokratie z.B. verwendet wird. Damit der gelingt, braucht es meiner Erfahrung nach eine gute Moderation und ein gemeinsames Lernen und Gewöhnen an die Methodik als Team/Kreis.

    Auf der Basis von 1) und 2) habe ich das in der These beschriebene Szenario selten erlebt. Eher effiziente Entscheidungen + gute Integration von Perspektiven. Und wenn mal doch viel Zeit für die Intergration von Perspektiven verwendet wurde, dann war es ein bewusst gewählter Prozess von bestimmten Rollen, mehr Perspektiven einzubeziehen, um das zu erreichen, was Sabine oben schon so schön beschreibt.

    Ich erinnere mich z.B. an ein 12-köpfiges Team (eigentlich mEn sogar zu groß für effiziente Selbstorga), dass in seinem allerersten selbstorganisierten Meeting 13 Entscheidungen in einer Stunde getroffen hat.

    Wenn Selbstorganisation aber so verstanden wird, dass alle überall mitbestimmen und die Entscheidungsprozesse eher auf Konsens/Mehrheit ausgerichtet sind oder sogar garnicht definiert sind, dann ist das oben beschrieben Szenario sehr real. Im so einer Selbstorganisation würde ich aber auch nicht arbeiten wollen 😉

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