[Literatur] KonsenT-Moderation

Ein Gespräch von Urs Kaegi mit Christian Rüther anlässlich seines neuen Buches „KonsenT-Moderation. Gemeinsam effektiv auf Augehöhe entscheiden. Ein Lehrbuch und Praxisleitfaden!“.

Kann KonsenT auch in hierarchisch organisierten Unternehmen angewendet werden? Worauf muss geachtet werden bei der Anwendung von KonsenT? Kann jede:r eine KonsenT Runde moderieren? Warum ist ein Einwand ein Geschenk?

 

Das Interview mit Christian Rüther ist hier als Video oder als Text verfügbar (siehe unten).

 

Das Buch ist über tredition.com erhältlich oder überall dort, wo es Bücher oder E-Books gibt.

 

Urs Kaegi: Warum ein Buch zu KonsenT-Moderation? Kann man das in einem Buch lernen? Was war das Ziel dieses Buches?

Christian Rüther: Für mich war es Beschäftigungs-Therapie. Ich hatte im Sommer nichts zu tun, wusste nicht, was ich machen wollte und bin dann auf die Idee gekommen zu KonsenT-Moderation ein Buch zu schreiben. Ich hatte schon andere Buchprojekte begonnen und nicht beendet. Ich hatte ein Projekt im Bistum Aachen, wo es darum ging einen Kreis mit Bischof, Generalvikar und 15 anderen Menschen zu moderieren und ich wollte die Erfahrung in ein Buch packen, wie man den KonsenT findet, ohne das ganze Gerüst der Soziokratie zu verwenden.
Ob man aus einem Buch lernen kann: es ist besser als ohne Buch. Es ist ein bisschen wie Autofahren, manche brauchen sehr viele Fahrstunden, andere weniger. Manche haben ein gutes Gespür von Moderation, das muss jeder selber sehen. Ich empfehle immer, dass man 1-2 Mal einen Experten/eine Expertin eine Moderation machen lässt, um es vor Ort zu spüren und zu sehen, weil nicht alles so rüberkommt, wenn man es aus dem Buch liest.

Du hast es im Bistum Aachen gemacht, ohne Soziokratische Strukturen. Kann man mit KonsenT-Entscheidungen auch dann arbeiten, wenn man nicht in einem selbstorganisierten Betrieb arbeitet?

Ja. Im Beispiel des Bistums gab es eine Geschäftsordnung, in welcher der Bischof gesagt hat, er möchte nicht mehr alleine die Entscheidungen treffen, sondern übergebe sie einem Kreis und ich halte mich daran, was der Kreis entscheidet mit meinem Konsent. Wir hatten ein gemeinsames Ziel und dann ging es auch in einer sehr hierarchischen Organisation.
Es braucht ein gemeinsames Ziel, ob es eine Vision ist, wie in der Soziokratie oder etwas anderes was verbindet und den KonsenT. Unten braucht es eigene Domäne, die hatten wir auch, unser Spielfeld quasi, also worüber wir entscheiden konnten und dann geht es.
So kann jede Führungskraft für ihr Team sagen, ich probier mal KonsenT aus oder wir machen KonsenT. Wichtig ist nur, dass man die Schnittstelle nach oben gut klärt. Also mit der oberen Führungskraft klärt, ob es für sie ok ist, dass dies mal ausprobiert wird. Wenn es da keine schwerwiegende Einwände gibt, dann kann man das machen. Es kann sein, dass man dann ein:e Exot:in ist im Unternehmen, je nach Kultur des Unternehmens.

Beim Lesen deines Buches ist mir aufgefallen, dass du unglaublich viele Praxisbeispiele drin hast, wenn dies und das, dann kann man so oder so reagieren. Gibt es häufige Fehler, auf die man achten sollte, wenn man einen KonsenT moderiert?

Ich kann nur sagen, was wichtig ist. Wichtig sind diese Rahmenvoraussetzungen: Gemeinsames Ziel, Domäne, dass die oberste Führungskraft ihr ok gibt und dann ist es hilfreich Runden zu machen. Statt zu diskutieren eben Runden hintereinander zu machen, auch wenn es am Anfang etwas ungewohnt ist und es auf Dauer etwas langatmig/langweilig sein kann, wenn man nur in Runden redet. Was wichtig ist und für Anfänger:innen manchmal schwierig ist, ist die Unterscheidung der Informationsphase und Meinungsphase. Zuerst versucht man alle Informationen auf den Tisch zu bringen ohne gleich in die Meinungsäusserung zu gehen. Das fällt vielen schwer am Anfang. Was es braucht ist, dass die Moderation sich sicher genug fühlt, um mit schwerwiegenden Einwänden umzugehen und dass es den Mut braucht seitens der Teilnehmenden diese schwerwiegenden Einwände auch einzubringen sowie den Mut der Moderation das zuzumuten. Wenn die Teilnehmenden wissen, dass die Moderation mit schwerwiegenden Einwänden umgehen kann, dann fällt es leichter solche zu äussern.

Du sagst ja, ein schwerwiegender Einwand ist ein Geschenk.

Ja, das ist die sehr positive Deutung. Wenn du in einer Sitzung bist und noch 10 Minuten hast, dich freust dass du einen Vorschlag gefunden hast und dann bringt jemand einen schwerwiegenden Einwand, dann beisst man sich schon auf die Zunge und fragt sich, ob das sein muss. Aber prinzipiell ist es ein Geschenk, weil etwas wesentliches übersehen wurde und in den meisten Fällen, weiss die Person, die den schwerwiegenden Einwand äussert auch, wie dieser im Vorschlag integriert werden kann. Es verhindert etwas im Vorfeld, was sonst im Nachhinein vielleicht negative Folgen haben könnte.

Mit Runden machen meinst du das Gefäss, dass jede:r der Reihe nach zu Wort kommt, ohne dass diskutiert wird, wenn es Fragen gibt, schreibt man sich diese auf aber es wird nicht diskutiert.

Genau. Jede:r kommt zu Wort, ein:e nach dem:der anderen. Wenn du etwas sagen möchtest, beisst du dir auf die Zunge und machst dir eine kleine Notiz und meistens ist es so, dass jemand anderes das gleiche sagt, was du glaubst, sagen zu müssen und meistens kommt man noch ein zweites Mal dran. Wenn es eine umfasende Meinungsbildung ist, dann kann man in der zweiten Runde noch sagen, was einem noch auf dem Herzen liegt. Es gibt ein Zusatz, Verständnisfragen. Wenn ich Verständnisfragen habe, dann sage ich, ich brauche eine Information, dann wird der Prozess unterbrochen, die information wird sofort geliefert.

An wen richtet sich das Buch? An moderierende? Wer soll es lesen?

Ich habe mir keine genaue Zielgruppe ausgedacht. Mir sagte ein Verleger, die Zielgruppe ist zu unklar. Es ist für alle. Leute die bereits Erfahrung haben finden hier noch einmal zusammengefasst, worum es geht und können sich daran orientieren. Für die Leute, die Moderation lernen möchten ist es ein gutes Werk. Für Führungskräfte, die damit beginnen möchten. Das schöne ist unterteilt in Hauptwerk, ich glaube es sind 160 Seiten, und im Anhang habe ich noch viel vertiefendes z.B. für die die Holacracy und S3 oder Soziokratie vertiefen möchten. Hoffentlich finden viele etwas.

Mir haben auch die Interviews, Fragebögen, gut gefallen, weil da sieht man auch die verschiedenen Zugänge zu KonsenT-Entscheidungen.

Und da bekommt man so ein bisschen ein Gespür, was das Ziel der einzelnen Teilnehmenden der Interviews ist und daraus habe ich auch gelernt. Eine Kollegin, die Annamarie Schallat hat ein Wahlbeispiel gebracht, wo bei zwei möglichen Kandidat:innen sie denjenigen vorgeschlagen hat, der weniger Kompetenzen hatte, damit er diese lernt. Das Argument war, wir schlagen Peter vor, weil er über diese Rolle das lernen kann, was es noch an Möglichkeiten gibt und da hineinwachsen. Das habe ich bisher nie gemacht und fand das eine coole Idee. Und so viele coolen kleine Ideen stecken in den Interviews drin.

Wenn du sagst, idealerweise soll das in einer Weiterbildung gelernt werden, was meinst du damit? Wie machst du solche Weiterbildungen? Die Theorie hat man wahrscheinlich schnell einmal verstanden, es ist wahrscheinlich wie bei vielem das machen

Was ich am liebsten mache ist ein zwei-Tägiger Workshop KonsenT-Moderation mit dem WG-Beispiel. Wenn es 12 Teilnehmende sind, dann mache ich zwei Gruppen daraus. Bei dem Beispiel haben wir ein Grundriss von einem Haus und sechs Leute ziehen in eine WG für ein Jahr. Da hat man am Anfang halt die Themen, die anfallen bei einer WG: Putzen, Einkaufen, Garten, Gästezimmer und und und. Ich mache dann meistens ein Demo und danach kommt jede:r einzelne dran und moderiert. In den zwei tagen kommt jede:r mal zum Moderieren. Von Aussen sieht es immer ganz einfach aus, wenn jemand moderiert, läuft ja, aber wenn man selber moderiert, dann muss man schauen, welche Phase ist das jetzt, worauf muss ich achten. Das ist etwas ganz anderes. Im Beispiel sieht man, wie andere agieren und lernen daraus. Zwei Tage ist ein gutes Format, um einen guten, vertieften Praxisbezug zu bekommen.

Aber generell, einen Konsentprozess moderieren das kann jede:r. Da muss man nicht Teamleiter:in sein oder so. Sondern das können alle, die die Methodik verstanden haben.

Prinzipiell können das alle. Man muss sich bewusst sein, dass es Unterschiede gibt in der Rolle der Moderation. Also ich sehe die Moderator:innen gleichzeitig ein Stück weit als Führungskraft. Also ich führe die Gruppe durch einen bestimmten Weg/Prozess. Etwas was viele irritiert am Anfang ist, dass die Moderation in der SKM oder so wie ich es darstelle auch einen Vorschlag macht. Also wir haben zwei Meinungsrunden und aus diesen Glod-Nuggets (Meinungen) bastelst du einen Vorschlag. Da hat die Moderatorin oder der Moderator eine ziemlich starke Gestaltungsmacht. In anderen Moderationsformen hat das der Moderator nicht, dann ist es entweder ans Team delegiert oder versucht den Vorschlag anders hinzubekommen. Ausserdem muss die Moderation auf einen guten Prozess achten: in Rudnen arbeiten, Time-Boxing machen, aber wenn du das kannst und darauf achtest, aus den kleinen Mosaiksteinchen ein Mosaik zu formen, das gut genug ist, gut genug nicht Perfektionismus, es muss keine perfekte Lösung sein, es kann immer noch ein schwerwiegender Einwand formuliert werden, falls es etwas wichtiges gibt. Das kann man lernen. Wenn man eine Gruppe hat, die liebevoll ist und es jeweils eine Feedback-Runde gibt, einfach mal ausprobieren.

Wo findet man dein Buch?

Das Buch ist über tredition.com erhältlich oder überall dort, wo es Bücher oder E-Books gibt.

Und man kann auch auf deiner Webseite nachschauen

Ja, https://www.soziokratie.org/was-ist-soziokratie/ oder auf YouTube Christian Rüther eingeben.

Vielen Dank Christian. Ich habe ja mal gesagt, dass das Buch etwas umfangreich ist, aber als Nachschlagewerk ist es eben wirklich toll und wenn man einmal die 160 Seiten gelesen hat, dann weiss man auch wo man etwas nachschlagen kann.

Loading spinner

Urs Kaegi (Alle Beiträge sehen)

em. Professor der Fachhochschule Nordwestschweiz, selbständiger Coach und Organisationsberater

Schwerpunkte: Kooperation in Organisationen, organisationaler Wandel

Falls Sie ihm ein Buch oder einen Artikel unterbreiten möchten, können Sie dies unter folgender Postadresse tun:

Urs Kaegi, c/o EcoSolidar, Dornacherstrasse 192, CH-4053 Basel

Bitte beachten Sie, dass nicht alle eingesandten Bücher in die Literaturempfehlungen aufgenommen werden können. Dafür bitten wir um Verständnis.

urs.kaegi@netzwerkselbstorganisation.net

Christian Rüther (Alle Beiträge sehen)

Unternehmensberater, Sozialer Architekt „professioneller Weltverbesserer“

https://www.soziokratie.org/ueber-mich-christianruether/

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert