[Literatur] Die Donut-Ökonomie

von Kate Raworth (2018) 1

Eine Buchbesprechung von Urs Kaegi.

Eine Buchbesprechung über ein neues Kapitel in der Ökonomie im Rahmen eines Netzwerks zu Selbstorganisation? Vielleicht haben Sie sich diese Frage auch gestellt beim Lesen des Titels dieser Rezension. Aber wenn, so meine These, vermehrte Aspekte von Selbstorganisation in Unternehmen zu einer stärkeren Demokratisierung der Gesellschaft führen, dann müsste dies doch eigentlich auch Auswirkungen auf die gesamte Ökonomie haben. Da kann doch die Aussage des rationalen Homo oeconomicus nicht mehr stimmen, dass wir beim Treffen von Entscheidungen bloss auf unseren individuellen Vorteil achten, wie es Friedrich August von Hayek mal propagierte. Und auch die Annahme, dass stetiges Wachstum schlussendlich zu einem Ausgleich für alle führt (aktuell besitzen die 10% Vermögensten 83% des Weltvermögens) scheint etwas gewagt.

Am Anfang meines Interessens zu Formen der Selbstorganisation las ich zudem einen Artikel von Christine Unterrainer von 2012, welche empirisch nachgewiesen hat, dass sich Mitbestimmung in Organisationen deutlich auf die demokratische Handlungsbereitschaft der Mitarbeitenden auswirkt (siehe dazu auch den aktuelle Beitrag im Netzwerk von Zängl/Baumgartner/Gander/Gawron https://netzwerkselbstorganisation.net/artikel/2021_4/ )

Ich habe mich deshalb schon länger auf die Suche gemacht, nach einem Ansatz der Ökonomie, welcher weniger vereinfachende Annahmen trifft und mehr auf systemische Prozesse von Gesellschaft und Umwelt achtet.

Das ist Kate Raworth mit ihrer Donut-Ökonomie gelungen, welche ein kraftvolles Plädoyer für eine Neuausrichtung der Wirtschaftswissenschaften vertritt. Leider manchmal etwas langatmig und in der Umsetzung zaghaft, aber lesenswert allemal.

Ich würde dem Buch 6 von 10 möglichen Punkten geben!


Um was geht es?

Das neue Wirtschaftsmodell stellt Raworth als Donut dar. Der Ring des Donuts ist der „sichere und gerechte Raum“, in dem sich die Menschheit aufhalten sollte, ohne Schäden gegen sich und die Umwelt anzurichten (kann man ja eigentlich langfristig auch nicht voneinander trennen…). Auf dieser Fläche oder in diesem Raum können wir unsere fundamentalen Bedürfnisse decken und leben nicht auf Kosten der Umwelt. Ausserhalb des Donutrings werden die natürlichen Ressourcen überstrapaziert, im Innenring ist das Leben prekär (Armut, Hunger, Langeweile…) und grundlegende Bedürfnisse können nicht gestillt werden.

Raworth, die ihren Ansatz streng wissenschaftlich entwickelt hat, formuliert zum ausserhalb des Donuts neun «planetare Grenzen» Klimawandel, Versauerung der Meere, chemische Umweltverschmutzung, Stickstoff- und Phosphorbelastung, Süsswasserverknappung, Flächenumwandlung, Verlust der Artenvielfalt, Luftverschmutzung und Rückgang der Ozonschicht. Hier lassen sich klare Indikatoren formulieren, bspw. die zulässige Menge an Kohlendioxid in der Atmosphäre, um längerfristig überleben zu können.

Der Ring im Inneren des Donuts lässt sich, nach Raworth, an zwölf Dimensionen messen. Hier orientiert sie sich an den UNO-Zielen für eine nachhaltige Entwicklung. Diese sind: Ernährungssicherheit, Gesundheit, Bildung, Einkommen und Beschäftigung, Wasser und Hygiene, Energie, Netzwerke, Wohnen, Gleichstellung der Geschlechter, soziale Gerechtigkeit, politische Mitsprache, Frieden und Gerechtigkeit. Auch zu diesen Dimensionen können jeweils Indikatoren festgelegt werden, bspw. der Anteil von Männern und Frauen in Volksvertretungen.

Sechs neue Denkansätze für eine sichere und gerechte Welt

Hier wird also schnell klar, dass bei diesen Vorgaben einer gerechten Ökonomie (Raworth spricht davon distributiver und regenerativer Ökonomie), aktuelle Modell versagen. Sie formuliert deshalb sechs neue Denkansätze.

Eingebettet Ökonomie

«Wie gross dürfen die Materie- und Energieströme in der globalen Ökonomie im Verhältnis zur Bioshäre werden, bevor sie das Lebenserhaltungssystem des Planeten, von dem unser Wohlergehen abhängt, sprengen» (S. 97)
Bisher standen in den ökonomischen Modellen Unternehmen, privaten Haushalte, Staat und Banken im Zentrum. Natürliche Ressourcen wurden als gegeben betrachtet, Umweltkosten werden wenig einbezogen. So steht der Wald da und bindet CO2 und spendet Sauerstoff, das wird aber nicht ökonomische einberechnet (Der brasilianische Präsident hat das auch mitbekommen und verlangt nun Milliarden, damit nicht weiter abgeholzt wird…).
In der eingebetteten Ökonomie steht nicht mehr die Effizienz der Märkte in Zentrum, sondern die wirtschaftliche Tätigkeit auf das Leben insgesamt. Wohlstand wird aus der Natur, der Gesellschaft, dem Menschen, der Arbeit gespiesen, ja selbst von Commons, dem gemeinschaftlichen Eigentum.

Der soziale und anpassungsfähige Mensch

«Wir haben zweihundert Jahre damit vertan, ein falsches Bild von uns selbst anzuschauen: den Homo oeconomicus, jene solitäre Gestalt mit Geld in der Hand, einem Rechner im Kopf, der Natur zu ihren Füßen und unersättlichem Verlangen in ihrem Herzen». (S. 156)
Der eingangs erwähnte, aber überholte Homo oeconomicus, welcher jederzeit Preise und Güter vergleicht, ist eine falsche Prämisse. Wir handeln nicht nur aus Eigennutz, sondern aufgrund unserer Werte. Wir handeln somit deutlich komplexer, als gängige ökonomische Modelle annehmen. Wir sind sozial orientiert und auf Austausch mit andern bedacht, unsere Wertvorstellungen verändern sich stetig, wir sind voneinander abhängig und nicht Herrschende über die Natur, sondern Teil des Netzes.

Dynamische Komplexität statt mechanischen Gleichgewichtes

Blicken wir der Tatsache ins Auge, das Universum ist ungeordnet. Es ist nichtlinear, turbulent und chaotisch. … Es organisiert sich selbst und entwickelt sich. Es erzeugt Vielfalt, nicht Uniformität. Das macht die Welt interessant, das macht sie schön, und aus diesem Grund funktioniert sie auch», Donella Meadows (S. 173)

In diesem Teil steht die Forderung nach einer Ökonomie, die Komplexität abbilden kann. Das bisherige Bild von sinkenden Preisen bei rückläufiger Nachfrage oder steigenden Preisen bei einer Verknappung der Angebote greifen ihr zu kurz.

Hier kommen bei Raworth insbesondere die ausgleichenden Rückkopplungsschleifen hinzu, welche stabilisierend wirken und ökonomische Eskalationen entgegentreten. Sie spricht in diesem Zusammenhang auch vom Tanz der Komplexität, also nicht nur «wenn-dann»-Beziehungen, sondern auch als selbstreflexive Systeme.

Verteilungsgerechtigkeit erreichen

«Warten wir nicht auf Wirtschaftswachstum, um Gleichheit herzustellen – das wird nicht funktionieren. Schaffen wir vielmehr eine Wirtschaftsordnung, die von vornherein auf Verteilungsgerechtigkeit angelegt ist». (S. 211)

Raworth meint, dass die aktuelle ungleiche Verteilung von Wohlstand dazu beiträgt, dass Menschen den sicheren und gerechten Raum des Donuts gar nicht erst erreichen oder aus ihm herausgedrängt werden. Sie plädiert für eine gezielte Umverteilung, bspw. durch eine höhere Besteuerung von Kapitalerträgen oder Mieteinnahmen. Dazu gehört auch eine gerechte Verteilung von Grund und Boden, bspw. in Form von Allmenden (Commons) oder Genossenschaften.

Eine regenerative Ökonomie

Der Kreislauf „nehmen, machen, verwenden, wegwerfen“ (S. 256) muss beendet werden. Unser ökologischer Fussabdruck ist zu gross (meiner beträgt 2.3 Erden…). Notwendig wäre ein „Von-der-Wiege-zur-Wiege“-Denken im Sinne einer Kreislaufwirtschaft.

Das Modell der Schmetterlingswirtschaft illustriert dies treffend: die Minimierung des Verlustes von Materie und Wärme. Dazu gehört auch, anstatt der menschlichen Arbeitskraft den Verbrauch von nicht erneuerbaren Ressourcen zu besteuern.

Sich vom Wachstum unabhängig machen

«Wir haben eine Wirtschaft, die wachsen muss, unabhängig davon, ob dies unser Wohlergehen fördert oder nicht. Wir brauchen eine Wirtschaft, die unser Wohlergehen fördert, unabhängig davon, ob sie wächst oder nicht». (S. 322)

Die aktuelle Ökonomie basiert auf der Annahme des stetigen Wachstums, denn nur diese garantiere das stetige Wohlergeben von Wirtschaft und Gesellschaft. Wachstum sorgt für Unternehmensgewinne, sichert Arbeitsplätze und ermöglichen dem Staat wachsende Steuereinnahmen.

Raworth plädiert nun für eine «agnostische» Haltung gegenüber Wachstum, gemessen am BIP. Ob dieses wächst oder nicht, sei nicht entscheidend, sondern ob die Wirtschaftsordnung menschliches Wohlergehen fördert. Das sei der Massstab. Für sie kann das Wachstum nicht stetig aufwärtsgehen, sondern es wird eine Grenze erreicht, die es dann zu halten gilt. An diesem Punkt seien wir heute. Dies erfordert eine tief greifende Umgestaltung von Wirtschaft und Gesellschaft. So sieht sie eine Möglichkeit darin, statt gewinnabhängige Dividenden auszuschütten, Investoren an den Einnahmen einer Organisation teilhaben zu lassen. Oder mittels eines Grundeinkommens der Angst vor Arbeitsplatzverlust zu begegnen.

Mein Fazit

Ich gestehe ein, dass ich beim Lesen immer wieder mal ein/zwei Seiten überblättert habe. Raworth liefert sehr viel Beispiele, was mich dann doch manchmal etwas langweilte. Zudem: Sie beschreibt den «grossen Wurf», bleibt aber bei der Umsetzung dann häufig ungenau.

Gefallen hat mir, dass sie den Menschen anders sieht, als er häufig in der Ökonomie dargestellt wird. Statt eigennützig denkt er ganzheitlich, er hat keine festen Vorlieben, sondern ändert seine Werte. Er nutzt die Natur nicht wie ein anderes Gut, sondern ist von ihr abhängig, und er nähert sich eher an Lösungen an, als dass er wirklich rational kalkuliert (siehe https://nzzas.nzz.ch/hintergrund/donut-theorie-von-kate-raworth-sie-will-das-wachstum-stoppen-ld.1611248). Mathias Binswanger geht kritisch mit dem Ansatz um, nennt es eine «Utopische Wohlfühlökonomie». Aber gerade Utopien stehen doch immer am Anfang einer Entwicklung…

Viel Spass (und Ausdauer) beim Lesen, Urs Kaegi

Solothurn, den 3. Mai 2021

  1. Raworth, Kate (2018). Die Donut-Ökonomie. München: Carl Hanser Verlag.
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